Tatort „HAL“

Das mit den Fakten ist so eine Sache. Vor allem wenn ein fiktionales Werk auf seinen Realitätsgehalt untersucht wird. Auf Twitter finde ich bei jedem Tatort interessant, wie viele Menschen sich empören, dass dieses oder jenes Detail nicht „realisitisch“ genug dargestellt wird.

Leute, das ist Fernsehunterhaltung. Eine fiktionale Handlung! Selbstverständlich ist die nicht realistisch.
Meine Meinung dazu ist klar: Menschen, die jede Handlung im #Tatort auf ihren Realitätsgehalt überprüfen, lassen sich vom Weihnachtsmann auch den Personalausweis zeigen.

Gestern wurde der Stuttgarter Tatort „HAL“ gezeigt. Ein sicherheitstechnisches Überwachungssystem manipuliert sich selbst und schaltet perfide seinen Entwickler aus. Schon ging das Genölle wieder los. Total unrealistisch! Verarsche (natürlich werden nur die „Unbedarften und Unwissenden“ verarscht, mann und frau selbst nicht, die sind ja schlau und wissend) Wie blöd sind die denn!
Die wissenden Menschen von Netzpolitik haben noch ein Bullshit-Bingo vorher rausgegeben. Nur dass darauf gar kein Bullshit zu finden war. (Fällt ihnen wahrscheinlich selbst nicht auf)

Ich jedenfalls fand diesen Tatort realistisch. Nicht eins zu eins übertragbar, das kann er ja nicht sein, da er ein fiktionales Werk ist. Aber wenn ich den Handlungsstrang der tötenden Intelligenz wegnehme (nur für das aktuelle Thema, denn auch dazu gäbe es eine ganze Menge zu sagen), wenn ich also diesen Handlungsstrang wegnehme, dann blieb da eine Vorstellung von einer überwachten Welt übrig, wie sie heute möglich ist. Technisch sind diese Überwachungsstrategien alle möglich und die psychischen Auswirkungen waren auch gut dargestellt. Niemand glaubt dir, wenn du dich in einem ausgeklügelten Überwachungsnetz verhedderst. Niemand glaubt dir und alle Versuche dich aus dem Netz zu befreien, führen dich zu neuen Verstrickungen. Ist eine intelligente Überwachung erst einmal angestoßen, gibt es kein Zurück mehr. Auch das ein realistisches Szenario.

Ich fand diesen Tatort trotz seiner Überspieltheit und der Einbettung seines langweiligen, schnarchigen und öden Handlungsstranges der Motivsuche (junge attraktive Frau stockt ihr Einkommen mit Prostitution auf und wird dann ermordet) imponierend und eindrucksvoll. Weil er genau das darlegte, was Überwachung so gruslig, schaurig und ekelhaft macht: Sie nimmt uns die Freiheit und verunsichert uns.

Comments (2)

ViolineAugust 29th, 2016 at 14:15

Deine kursiv gesetzte Meinung liest sich witzig!

Hoffentlich stösst dieser Tatort viele Diskussionen an. (Ich mag ja gesellschaftskritische Krimis. Wenn ich denn überhaupt noch Krimis lesen würde.)

Zum dritten Abschnitt: Es fällt mir schon seit längerer Zeit negativ auf, dass Menschen so gerne überlegen sind. Mir wird da ganz mulmig und ich hoffe, ich bin nicht so. Aber da bin ich mir misstrauisch mir selbst gegenüber.

SammelmappeAugust 29th, 2016 at 16:16

Ja, das hoffe ich für mich ganz genauso.

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