Ich kann sie erkennen

Vorsicht! Es folgt ein subjektiver Beitrag. Ganz aus meiner persönlichen Sicht geschrieben.

Mir ging es wie vielen Frauen in den letzten Tagen: Die #aufschrei-Geschichte hat mich durchgerüttelt. Mich durch eine innere Mühle gedreht. Bei mir hat sie die körperlichen Gewalterfahrungen der Kindheit hochgespült. Ich erlebe Sexismus sehr gewalttätig. Mein Herz und meine Seele liegen bloß und produzieren körperliche Symptome.
Mit einer gewissen Genugtung habe ich die Beiträge gelesen, die damit beginnen, dass Frauen betonen, dass sie sich nicht als Opfer sehen – sie schreiben meistens: Ich bin kein Opfer – aber plötzlich fallen ihnen Begebenheiten ein, in denen auch sie sich unwohl und kleingemacht fühlen.
Vielleicht ist Genugtung nicht das richtige Worte. Es gefällt mir, dass sie für einen Moment spüren, worum es geht. Mich hat es schon immer irritiert, wenn Menschen das eigene „Starksein“ so hoch bewerten. Als sei es ein Schulabschluss für den sie kräftig gelernt haben oder als sei es ein Geschenk der Natur, die ihnen als Lebensbeigabe persönlich mitgegeben wurden und auf die sie sehr stolz sind.

Ich mag das Wort Opfer nicht. Nicht weil es schlecht für mich klingt, sondern nur, weil es so wenig aussagekräftig ist. Es trifft ja nur einen kurzen Moment oder auf einen Ausschnitt zu. Aber ich mag auch nicht, wenn sich Menschen mit Vehemenz dagegen wehren ein Opfer zu sein. Wenn sie sich wehren, schwach zu sein. Als könnten wir das selbst bestimmen, ob wir stark oder schwach sind! Wir sind manchmal das eine und manchmal das andere. Auch schwache Menschen haben Lebensfreude und es gibt eine ganze Menge sogenannter starker Menschen, die wenig Lebensqualität haben.

Aber ich bin abgekommen vom Thema. Wahrscheinlich, weil es unangenehm ist. Wenn ich neue Menschen kennenlerne, dann merke ich meist schon nach kurzer Zeit, ob sie zu denen gehören, die Gewalterfahrung erlebt haben. Ich kann sie erkennen. Wissenschaftlich überprüfen kann ich das natürlich nicht, aber bisher habe ich mich nie verschätzt, wenn ich die Gelegenheit hatte, es in Erfahrung zu bringen.
Es ist auch nicht gegenseitig. Ich meine, es ist nicht automatisch so, dass sich die geschunden Kinderseelen erkennen. Kann es auch gar nicht sein. Gerade deshalb bin ich dankbar, dass ich ein Gespür dafür habe. Es gibt auch kein Erkennungszeichen, denn jede hat diesen Kampf anderes überlebt, sich eine andere Haut zugelegt. Mal zerfleddert, mal besonders akkurat, mal Blumen geschmückt oder hartkantig und hartschalig. So viele betroffene Frauen es gibt, so viele Überlebensstrategien gibt es. (Ich schreibe Frauen, denn bei Männern funktioniert mein Erkennungssensor nicht ganz so gut.)

Bei der Aufschrei-Geschichte wurde mir wieder mal deutlich, wie wenig sich Menschen, die „behütet“ aufgewachsen sind, die ein Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein im Kindesalter haben entwickeln können, sich in eine zerbrochene Seele eindenken oder einfühlen können. Zum Glück – kann ich da nur sagen. Was es bedeutet, diese Wunde oder Narbe ein ganzes Leben mit sich zu tragen, dass kann abstrakt erfasst werden, aber in Alltagssituationen kaum nachempfunden werden.

Deshalb ist es wichtig achtsam zu sein. Uns gegenseitig zu achten. Denn es ist ein bisschen so wie bei den Allergien. Da gibt es Menschen, die haben Allergien und andere, die können höchstens von sich sagen: sie haben noch keine Allergie, denn die kann ja immer entstehen.
So ist das auch mit den Gewalterfahrungen oder den Sexismus-Attacken. Wer sie heute noch nicht gemacht hat, den kann es morgen treffen.
Einzige Einschränkung – Gewalterfahrungen in der Kindheit und besonders von den nächsten Angehörigen ausgehend sind natürlich etwas prägender als eine Gewaltattacke durch einen Fremden. Was dabei genommen wird, bestimmen wir nicht selbst.
Und nicht jeden Teil unserer Persönlichkeit können wir schützen.

Comments (2)

ingejahnJanuar 29th, 2013 at 17:52

meine befürchtung ist dass die hintergründe des #aufschrei genau dem nicht dienlich sind. ich weiß genau was du meinst auch ich kenne die wehrlosigkeit und betroffenheit die durch ein frühes trauma entsteht. aber die form in der das jetzt zu tage tritt gefällt mir nicht. ich finde mich in dieser art der debatte und darstellung wie sie bei günther jauch gelaufen ist nicht wieder.

erzJanuar 31st, 2013 at 07:54

Danke.

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