Meine Nachrichtenfilter sind in den letzten Jahren scharf eingestellt. Früher habe ich meine Konzentration auf alle Medien gerichtet über die Nachrichten kamen. Als müsste ich unbedingt dabei sein, wenn die Welt sich wieder ein Stück weiterdreht. Heute mache ich es meist andersherum. Ich drehe ab. Man kann ja nicht immer dabei sein. Irgendwann ist man nur noch mittendrin und nirgendwo mehr zu Hause. Ich weiß nicht, wann es angefangen hat, aber ich musste meine Filter immer weiter nachschärfen. Aber immer war ich zu spät. Die Wirkung des Gifts hatte schon eingesetzt. Jedesmal war ich ein Tick hinterher.
Ich dachte lange, das liegt an mir, der Mimosenseele. Zu weich, zu empfindlich, zu leicht zu erschüttern. Als müsste ich mir eine dickere Haut zulegen, wie man sich einen neuen Wintermantel kauft: einen, der den Wind abhält, die Kälte nicht so durchlässt. Aber das Problem ist nicht der Mantel. Das Problem ist, dass die Kälte aus allen Richtungen kommt. Und sie hat ein Gesicht bekommen. Mehrere sogar. Einige sitzen im Bundestag, andere grölen auf Marktplätzen, wieder andere lächeln in Talkshows und sagen Dinge, die man früher nicht mal am Stammtisch gesagt hätte, wenn man Anstand hatte. Und dann ist da dieses Gefühl, dass man trotzdem noch nicht genug aufpasst. Dass man zu wenig gesagt, zu wenig getan, zu oft geschwiegen hat. Aber irgendwann – das merke ich jetzt – ist der Lärm so groß geworden, dass man sich selbst kaum noch hört. Also stelle ich die Filter noch feiner ein. Ich lasse nur noch durch, was mich nicht lähmt. Und das ist wenig.
Manchmal ein Satz, der mir begegnet. Eine Geste. Ein Foto ohne Hass. Ein Gedanke, der trägt. Ein Gedicht. Ein Lied. Ich sammle sie wie kleine Kieselsteine in der Tasche, damit ich nicht vergesse, dass es auch noch anderes gibt als Empörung und Verrohung.
Das ist nicht viel. Aber vielleicht ist es genau das Richtige.
„Der Krieg ist wie eine Krankheit, die unerwartet ausbricht. Und deswegen weist du auch nicht gleich, wie du dich verhalten und welche Wörter du verwenden kannst. „
„The poppies blow out their wild, scarlet souls.“ („Die Mohnblumen schleudern ihre wilden, scharlachroten Seelen hinaus.“)
Wild und verletzlich. Nicht im Bild, die Gitter hinter denen die Mohnblumen stehen. Hab sehr gezittert und mich angestrengt, damit mir das Smartphone nicht aus den Händen fällt. Genauso ist das Leben gerade. Kompliziert, aber das siehst du auf den Fotos nicht.
Manchmal tauchen Fotos aus der Vergangenheit auf. Wie aus einem anderen Leben. Ja, doch. Die Jacke kenne ich. Die Lieblingsschuhe auch. Aber die Person. War ich wirklich diese Person? Damals an diesem Tag?
Die Natur schreit mit voller Kraft ihr Grün in die Welt. Es ist ein pollenreiches Paradies. Meine Augen drücken, mein Geist ist platt, mein Immunsystem kämpft. Die Katastrophe zeigt sich von ihrer idyllischen, pittoresken Seite.
Die Bäume vor meinem Fenster rascheln mit Blättern und Zweigen, als wollten sie mich ständig grüßen. Manchmal flüstere ich mit ihnen, aber dann schreiten Krähen und Elstern ein und vertreiben mit ihren Schreien, die flüsternde Atmosphäre. Das Licht verfängt sich in den Baumkronen, die Sonne spielt mit. Alles ist mit Leichtigkeit in Bewegung, nur ich denke an die kahlen Wintertage zurück.
Das Licht, das durch das frische Grün fällt, das zarte Aufblühen der Kräuter – der Balkon atmet frühen Sommer und stille Hoffnung.
Selma Meerbaum-Eisinger: „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt – / wie in den Mantel einer warmen Nacht.“
Draußen wiegen sich die Bäume zärtlich im Wind. Sie spielen mit dem Licht, oder spielt das Licht mit ihnen? Vielleicht ist es heute so und morgen anders. Das Spiel ändert sich, mein Blick verändert sich. Atemlos schaue ich zu, wie das Grün mich berauscht. Wie es mich berührt. Alles ist möglich, wenn die Natur ihre Kräfte ballt.
Von hier aus gesehen. Von meinem Balkon aus in die Ferne geschaut, liegt sie mir friedlich zu Füßen.
Ziellos wandere ich durch das Land der Seufzer und Klagen. Mehrfach schon benutzte ich den Notausgang, erklärte mit Überzeugung meine Gesundung und kam demütig durch das Katzentürchen wieder zurück. So einfach gibt es hier kein Entkommen. Da draußen scheint nur ein Labyrinth zu sein, das mich auf den unterschiedlichsten Weg wieder zurück bringt.
Also gebe ich mich jetzt geschlagen und verpacke meine Klagen und Seufzer aufs Neue in poetische Sprache. Schraube die weiße Tube auf und beginne das Deckweiß in meine Blumenbilder einzuarbeiten. Fühle die Traurigkeit, die über meinem Kopf kreist wie die hartnäckige dicke Fliege, die sich nicht ins Freie schicken lässt. So ist das Leben manchmal. Aber dann kommt der Wind und blässt alles kräftig durch und ich vergesse meine Ungeduld und meine Traurigkeit. Nehme mein Strickzeug in die Hand und spüre das Glück, das in mein Leben dringt. Das sich nicht einfach so vom Seufzen und Klagen abhalten lässt. Das einfach da ist. In unterschiedlichen Schattierungen.
Heute im Traum viele Busse und Bahnen verpasst, den falschen Weg eingeschlagen und den Treffpunkt nicht gefunden. Die Bahnhöfe verwechselt. Anstrengende Tråime sind Nebenwirkungen der Allergiemedikamente. Ich wache zerschlagen auf, verbringe die Tage im Nebel und gegen Mittag könnte ich mich erschöpft und ausgelaugt in eine Ecke legen und mein Bewusstsein ausknipsen. Die Medikamente nicht zu nehmen, führt in einen ähnlich erschöpfenden Zustand. Mir bleibt also immer die Wahl, welchen ich gerne hätte.
Damit sich dieser Zustand nicht so öde anfühlt, sorgt meine Verdauung regelmäßig für Spannung und Abenteuer in meinem Alltag. So ein Darm verfügt über einen Wichtigtuermodus, der sehr aufdringlich sein kann. Gekrönt wird das Ganze durch mentale Seltsamkeiten, die sich mein Körper leistet. In der Fachsprache sagen sie, er reagiert so, weil er die Umgebung nicht für sicher hält. Er soll lernen, dass die Umgebung sicher ist und dass er seine Alarmierung einstellen kann.
Tiefer Seufzer meinerseits an dieser Stelle. Ich habe die letzten zwei Jahre viel sonderbares Vokabular gelernt. Ich habe mich auf eine interessante Reise gemacht und bereue sie nicht. Aber ich bin trotzdem nicht sicher, ob mir Vokabular und Reise in irgendeiner Weise geholfen haben.
Nice to have, heißt das heutzutage. Das auf alle Fälle. Aber darüber hinaus, findet ihr mich ratlos seufzend.
Ich male jetzt mein abendliches Blumenbild. Weil es mittlerweile viele Bilder sind, gehe ich dazu über vorhandene Bilder zu übermalen. Sie wie Geschichten weiterzumalen.
Schlaflose Nacht, die in einem erschöpften Morgen mündet. Zerschlagen wache ich aus einem wirren Feuertraum auf. Der Schrecken der Katastrophe drängt aus der Traumwelt und macht sich breit in meiner aufwachenden Zerschlagenheit. Das Feuer ist längst heruntergebrannt und hinterlässt eine ausgebrannte Umgebung. Nicht sehr subtil dieser Traum.
Draußen zwitschern die Vögel um die Wette und die Sonne blendet mich gleich als ich die Augen öffne. Die Natur zeigt sich von ihrer besten Seite. Spendet Trost so gut sie kann. Lässt ihre Magie spielen. Zeigt Zauberhaftes und Wunderbares. Ich fühle mich definitiv mitgemeint.