60 Jahre Grundgesetz

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 60 Jahre Grundgesetz, 60 Jahre Frieden. Was bedeuten sie mir?
Ich bin noch nicht ganz so alt wie die Bundesrepublik, ich wurde geboren, als die Bundesrepublik schon in ihre neue Phase getreten war. Das Wirtschaftswunder war schon durch, alles war neu. Neue Musik, neue Architektur, neue Stoffe, neue Kleidung, neue Moden, neue Politiker (wenigstens in Amerika) – alles war neu. Alles geschniegelt und gestriegelt, auf das alte wurde oft veruntergesehen. Erinnert wurde sich nicht. Die Zeiten waren nicht danach sich zu erinnern. Krieg war etwas was früher war. Was immer früher war. Was nicht in die moderne Zeit passte. Dazu passte nur die Illusion von einem großen Knall, der die ganze Welt mit einem Schlag vernichten würde. Aber das war später, als ich langsam erwachsen wurde, als die jungen Menschen sich selbst Antworten suchten, nachdem sie von den alten keine Antworten erhalten haben.
All diese Zeit bin ich aufgewachsen mit dem Bewußtsein, dass das Grundgesetz etwas besonderes ist. Dass es uns schützt, dass es uns vor einem Staat schützt, der ein Verbrecher sein könnte. Dass es uns schützt vor denen, die Macht ausüben. Den Macht muss immer ausgebremst werden, weil sie sich immer ausweiten will. All diese Zeit war ich voller Stolz darüber, dass das Böse überwunden ist und dass es nie, nie, nie wieder von Deutschland ausgehen soll.
Heute bin ich traurig, traurig darüber, welchen Weg das Land und seine Bewohner gehen. Der Weg der Egoisten, der Weg der Konsumisten, der Weg der Betäubung, der Zersträuung, der Verdummung. Bildung hilft gegen Verdummung offensichtlich nicht, damit hatte ich nicht gerechnet. Dass sie gegen Verblendung nicht hilft, das wusste ich schon früh.

Wir leben uns also auseinander, das Grundgesetz und ich. Klar, bin ich noch froh, dass es dieses Grundgesetz gibt. Aber es wird täglich abgenutzt und ausgenutzt. Irgendwann wird es schäbig sein. So schäbig, wie andere Verfassungen schon sind. Dann wird es sein wie andere Verfassungen. Papier, das die Menschen nicht schützt.

Aber noch ist es da. Noch ist es auch für mich: das Grundgesetz. Noch ist es was besonderes. Mein Lieblingsartikel war schon immer der Artikel eins.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verplichtung aller staatlichen Gewalt.

Gefährdet ist zur Zeit nicht nur der Artikel fünf:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Einen Zensur findet nicht statt.

Nein, eine Zensur der Herzen findet noch nicht statt. Soweit sind wir noch nicht.

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