Journal281020
Heute Nacht im Traum Karmapunkte gesammelt. Beim Aufwachen gemerkt, dass sie ganz, ganz leicht ihre Wirkung entfalten.
Heute Nacht im Traum Karmapunkte gesammelt. Beim Aufwachen gemerkt, dass sie ganz, ganz leicht ihre Wirkung entfalten.
Die Zahlen der Neuinfektionen steigen exponentiell in Europa und ich kämpfe mit meiner Gemütsausstattung. Denn sie ist zum emotionalen Ausgleich verdammt. Mir fehlt in dieser Hinsicht ein Filter in den Einstellungen: Gibt es Leid auf der Welt, dann leide ich. Steigt das Leid exponentiell, dann leide ich exponentiell.
Als Kind konnte ich kaum begreifen, dass die Menschen einfach in dem Wissen leben, dass so viele Kinder an Hunger sterben.
Als Jugendliche konnte ich kaum begreifen, dass Menschen weiterleben können, mit der Gewissheit, dass es Faschismus gab und gibt und immer weiter geben wird.
Als Erwachsene hab ich mir antrainiert, mir bei anderen abzuschauen, wie sie das machen: das mit dem Leid der Welt und der Unmöglichkeit es auszuhalten.
Heute bricht mein mühsam konstruierten Gerüst mir unter dem Hintern weg und ich bin wieder da, wo alles begann.
Ich leide.
Irrational, aber hartnäckig.
Und am Meisten leide ich unter dem von Menschen gemachten Leid.
Meine angezeigten Risikobegegnungen auf der Corona-Warn-App mehren sich. Frankfurt hat jetzt die 200er Marke (Neuinfektionen per 100.000 Einwohner) gerissen. Klar, dass dann der Corona-Verharmloser von Amtswegen an der Spitze des Gesundheitsamtes noch von oben belobigt werden muss.
Wir sind eine Demokratie, die die Vielfalt (!) der Meinungen aushält.
Vielfalt! Meinungen! An der Spitze des größten Gesundheitsamtes mit den umfassendsten Ressourcen!
Das fass jetzt ich wieder nicht.
Der Herbst zeigt sich von seiner milden und farbigen Seite.
Ich verlasse das Haus verschlafen und unruhig am Morgen für den Samstagseinkauf. Lange versuchte ich die aktuellen Zahlen der Neuinfektionen abzurufen, aber sie kamen und kamen nicht. Nicht für Hessen, nicht für das ganze Land. Dann ärgere ich mich über meine Fixiertheit und entscheide mich losziehen. Je früher, desto weniger Menschen unterwegs. Eine einfache Gleichung.
Alles erinnert an diese Tage im März. Diese Zögerlichkeit. Das Elend in den Nachbarländern, die leeren Regale bei den Hygieneprodukten. Die Gewissheit, dass sie wieder alles in den Sand setzen.
Mehr als 10.000 Menschen sind nun in Deutschland an dem Virus gestorben.
Dort wo ich jetzt gerne eine Stütze wäre, darf ich nicht sein. Da breitet sich von Tag zu Tag eine größere Dunkelheit aus. Das schmerzt.
Habt ihr Angst?
Nerven behalten, schrieb ich mir auf die Fahne, als die Zahlen wieder stiegen. Nerven behalten und Ruhe bewahren. Immer leichter gesagt als getan.
Die Nachrichten mit den neuen Zahlen melden sich immer früher im Morgengrauen bei mir auf dem Telefon. Manchmal blende ich für Stunden die Gedanken an das Virus aus, dann kommt dieses unheimliche Gefühl zurück. Wie wird sich diese Welt verändern?
Was wird sein?
In einem Monat?
In einem Jahr?
Goldener Herbst in düsteren Corona-Zeiten. Dieses Licht. Diese Farben. So ein Geschenk!
Aber ich könnte trotzdem den 125.000 Eintrag über meine Müdigkeit schreiben. Dieses Mal sogar mit Anlass, bin ich doch mitten in der Nacht aufgewacht und nicht wieder eingeschlafen. Zerschlagen und geplättet.
Morgen wird ein besserer Tag. Mit anderen Sorgen.
Falls ihr meine gute Laune findet, einfach hier bei der Sammelmappe wieder abgeben. Sie hat sich auf und davon gemacht, dabei wird sie hier dringend benötigt.
Die Zahlen steigen. Die Frisur hält.
Allerdings nur im übertragenen Sinn: Ich setze die Mütze auf.
Zuhause ist es kuschelig und lesenswert. (Ja, es wird viel gelesen.) Im Büro lebt eine Parallelwelt ihre Aufregungszyklen. Soweit nichts Neues. Alles schon mal dagewesen, wenn du drei Jahrzehnte dabei bist.
Ich habe auf FFP2-Maske aufgerüstet und fühle mich besser dabei. Die Maske sitzt besser, die Brille beschlägt nicht so und je kälter es draußen wird, desto wärmer hält sie mein Gesicht.
Dieses Jahr hätte so schön sein können. Voller Harmonie.
Für die Navajo ist es wichtig, den Weg der Schönheit zu gehen. Danach richten sie ihr Leben aus. Ihre ganze Lebensweise orientiert sich daran.
Es hat so lange gedauert bis ich verstand, was das bedeutet.
Was wir in den nächsten Wochen viel brauchen werden:
Gegenseitige Zuwendung.
Also besser nicht zuviel Energie auf toxische Menschen und Medien verschwenden.
Dieser Winter wird viel Kraft kosten. Ich werde lernen mit der Situation umzugehen, dass die Ängste der Menschen überbrodeln. Die Ängste, die Ungeduld, das Misstrauen.
Mein Lebensherbst überspringt die goldenen Zeiten.
Vielleicht kommen ungeahnte, neue Farbtöne zu Stande.
Die Hoffnung stirbt zuletzt und meine Hoffnung ist eh anhänglich und klebrig. Die bleibt mir auch an grauen Tagen erhalten.