Gestern Morgen im Bethmannpark. Ich wollte ursprünglich in den Palmengarten, musste aber umkehren. War doch nicht so stabil, wie ich mir wünschte.Aber was für ein Traum! Sieht fast aus wie ein Gemälde. Der Park ist ein Pausenraum. Die Berufsschüler*innen belegen fast alle Bänke. In Gruppen – meistens nach Geschlechtern getrennt – sitzen und stehen sie zusammen mitten in dieser Farbenpracht. Der Supermarkt von gegenüber versorgt sie mit dem notwendigen Proviant. Ich laufe atemlos die Wege ab. Fotografiere und zeichne Videos auf. Bin vollkommen im Bann dieser Schönheit. Kann kaum fassen, wie wundervoll ein Garten sein kann.
„A single flower can be my garden… a single friend, my world.“
Langsam fühle ich wieder sicheren Boden unter meinen Füßen. Mein Herz erfreut sich an der Natur und plötzlich ist die Welt wieder präsent. Das war die dritte Welle, durch die ich hindurch musste und jedesmal rieß es mich anders mit. Die Seele ist ein kompliziertes Gelände. Immer wieder verlangt sie einen anderen Kompass, anderes Navigiergerät. Oft habe ich das Gefühl von vorne anzufangen und die Erfahrungen der Vergangenheit zählen nie.
Heute ist nicht die Zeit, um darüber zu klagen. Heute ist die Zeit des Genießens. Die Gänseblümchen feiern ein Fest und mein Herz feiert mit.
Sie fliegen im Wind. Üben sich in Leichtigkeit. So zart, so verletzlich. Vergänglich. Sie trösten in dunklen Zeiten. Mich erinnern mich an die Kindertage und mein Herz wird weich.
Sie wachsen im Überfluss. Morgens noch war die Wiese gelb, dann zaubert die Natur diesen seidigen Flaum.
Es sind die kleinen Dinge, die meine Seele erfreuen. Ich möchte wegfliegen mit ihnen. Mit ihnen im Wind wirbeln. Aber meine Wurzeln sind fest verankert im Boden. Hier bin ich und bin wie ich bin. Veränderungen sind möglich, aber zäh und hart.
Nachhause kommen. So ein sanftes Gefühl. Ankommen und wieder einsinken in das eigene Leben. Im mentalen Gepäck so viele Erinnerungen. Mehr Bilder als Worte. Mehr Gefühle als Ereignisse.
Der Koffer ist längst schon ausgepackt, die Psyche sortiert noch das Erlebte, Gesehene, Gefühlte, Geträumte.
(Ein sicheres Zuhause. Das ist der Ort, den alle Menschen haben sollten.)
Ich tauche ein in die Landschaft, so wie ich sonst in die Literatur eintauche. Ich nehme sie in mir auf, mache kaum Fotos. Sie soll in mir verschwinden. Das Licht, die Farben. Alles.
Gestern der Regenbogen als wir auf der Rückfahrt von Rathlin Island waren. So breit, so weit, als wolle er die ganze Welt umarmen.
Die Küste von Nordirland ist atemberaubend. Sechs Tage lang war auf unseren Fotos ein unheimlicher, blauer Himmel ohne Wolken zu sehen. Jetzt besinnt sich das Wetter wieder auf seine lokale Besonderheit und zaubert Wolken, Sonne, Regen und gestern sogar ein Gewitter an den Himmel. Das Gewitter verschlief ich, den die atemberaubende Landschaft macht müde. Wind kommt jetzt auch auf. Wenn wir uns ein bisschen von der Küste entfernen sehen wir grün. Grün und dazwischen die Weiden mit den Mutterschafen und jeweils ein Lämmchen im Gras. Die Welt besteht gerade fast ausschließlich aus Landschaft und Bildern. Die Nachrichten und die Schlechtigkeiten der Welt sind rausgefiltert.
Luxusleben. Für ein paar Tage.
Hier in den Erinnerungen sehe ich, dass ich heute 17 Jahre Twitter-Jubiläum hätte. Auch diese Zeit ist vergangen. Wie sehr sich die Welt doch verändert hat und doch immer gleich bleibt. So viel Aufregung, so wenig das wirklich bleibt.
Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich einmal durch die Straßen von Belfast laufe. Lässt man die Unruhen weg, dann ist es vorallem eine Arbeiter*innenstadt. Textilindustrie und Werften vor allem. Alles sehr bodenständig. Aber im Öffentlichen gibt es viele Wandbilder, viele Symbole, die entweder einer der Konfliktparteien zuzuordnen sind oder die an Frieden und gegenseitigen Respekt erinnern. Wie immer im Leben kann der Wunsch von vielen durch die Aktionen einzelner Menschen schnell durchkreuzt werden.
Für die Werften sah es lange Zeit schlecht aus, aber jetzt kommen wieder Aufträge. Aus der Rüstungsindustrie. Es ist bitter. So bitter, wie die Welt heute eben ist.
Mein Bewegungsradius hat sich in den letzten Tagen wieder erheblich verkleinert. Die dritte Welle der Attacken holt mich ein. Ich fühle mich wie weggeworfen oder ausgespuckt. Jeden Tag aufs Neue denke ich: Heute wird es klappen. Und dann muss ich mich wieder der Tatsache stellen, dass mich die Attacke reitet wie es ihr gefällt.
Mein Countdown bis zur Nordirland-Reise zählt weiter runter. Bald geht es los und ich habe nicht die geringste Vorstellung, wie das laufen wird. Bisher komme ich alleine gerade mal bis zur nächsten Kreuzung. (Seit heute sogar wieder drüber.) Die Seele heilt nicht linear, sagen sie. Sie heilt in Kreisen oder Spiralen. Das heißt leider auch, dass der Tag morgen wieder schlechter sein kann. In den letzten vierzehn Tagen hatte ich einige Tage mit Anfällen, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Ich schreibe das alles sehr ungern in die Sammelmappe, aber es ist nun mal wie es ist. Die Ereignisse verschwinden nicht, weil ich sie nicht ausstehen kann. Es zeigt sich immer mehr, dass diese Anfälle Teil meines Lebens sind. Noch hoffe ich innigst, dass sie auch wieder verschwinden. Aber sie sind so massiv, dass es wichtig ist, dass ich sie akzeptiere und ich einen Umgang mit ihnen finde. Dazu gehört auch, dass ich nicht verstecke, was da gerade mit mir passiert. Im realen Leben gelingt mir das etwas besser, als hier. Vielleicht liegt das daran, dass hier die Distanz größer ist. Aber da ich die Sammelmappe vorallem für mich betreibe, ist es wichtig, dass hier auch zum Ausdruck kommt, wie sehr ich um mein seelisches Gleichgewicht und meine körperliche Gesundheit kämpfe.
Der Weg ist das Ziel. Mein Weg ist das Weiterausprobieren. Schritt für Schritt. Im wahrsten Sinn des Wortes. Trippelschritt für Trippelschritt. Das kostet Kraft.
Und deshalb schreibe ich es heute hier rein. Weil es gerade mein Leben ist.