Journal03092020
Ach. Einfach nur ach.
Mit einem Seufzer zum Satzende.
Sorgen von a bis z. Alle gehören mir. Begleiten mich, haben sich dreist vermehrt in diesen Tagen.
Wer hält am längsten durch? Wer macht schlapp? Es wird ein langer Herbst, ein hartnäckiger Winter werden.
Wie wollt ihr eure Kraft aufteilen? Wo labt ihr euch an geheimen Quellen?
Alt werden ist nichts für Feiglinge, sagte sie und setzte damit einen Rahmen.
Wer nicht alt werden will, muss früh sterben, sagten andere und legten damit eine fesche, neue Abstraktionsebene fest.
Alt werden ist ein Privileg, erfuhren wir beim Lesen der Gedenktafeln und der Stolpersteine.
Alt werden tut weh, entnehme ich den Blogs und meinem persönlichen Umfeld.
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Ich werde alt und bin jetzt alt und finde mich in diesen Erzählungen nicht wieder. Mein alt werden ist begleitet von einer unendlichen Plage der Müdigkeit. Ich bin psychisch müde. Ich bin mental müde. Ich bin politisch müde. Ich bin diametral so was von entfernt von diesen „jungen Alten“, dass ich bald eine neue Zielgruppe aufmachen kann.
Mein Alter schmerzt nicht. Es macht mich müde.
Herbstgefühle
Lese die Briefe von Annette Kolb und verschließe Augen und Ohren vor dem Lärm aus Berlin. Erfolglos. Die Reichsflaggen und der Sturm auf den Reichstag dringen dennoch in mein Gemüt.
Geschichte, die ihren Gestank wiederholt.
Ob wir es dieses Mal schaffen, zu retten, was uns wichtig und teuer ist?
Demokratie ist ein zerbrechliches Gebilde. Sie benötigt viel Pflege und Zuwendung, damit sie nicht zerbröselt. Heute Abend möchte ich zuversichtlich sein. Von ganzem Herzen und mit ganzer Seele vertrauen, dass der Alptraum nicht ein zweites Mal über uns kommt.
(Und irgendwann möchte ich dieses Gerichtsurteil verstehen, das die Demonstration zuließ. )
Corona-Reisen. Kein Ende der Dienstfahrt in Sicht. Ich schiebe meine Ängste ins Hinterstübchen.
Wie schizophren kann eine weiterleben? Das Urlaubs- und Privat-Ich schottet sich ab, die dienstliche Präsenz schwillt ungesund an.
Was für Tage! Was für eine Welt!
Vielleicht ist es an der Zeit, sie aus den Angeln zu heben.
Ich tauche ab, tauche auf. Hole Luft, weil ich kein Seepferdchen bin.
Tauche unter, mache weiter.
So geht es einer, der der Urlaub fehlt.
Eine Hommage an die Traurigen und die Müden schreibt Margarete Stokowski in ihrer aktuellen Kolumne.
Ich kann sie gut brauchen in diesen Tagen, bestehe ich doch fast nur noch aus diesen beiden Zutaten. Ein Mix aus Traurigkeit und Müdigkeit gegen den die Schwerkraft ein Leichtgewicht ist.
Tatsächlich. Die Blätter am Baum vor meinem Fenster werden gelb. Von 100 auf 0. Vom Hochsommer zum Herbst.
Corona-Herbst. Das wird ein Spaß.
Mir fehlt ein Loch, in das ich mich verkriechen kann. Ein Versteck, das mir Schutz bietet. Es soll nicht sein, es darf nicht sein.
Ich sammle die Kraftreste ein, die übrig geblieben sind. Die Krümmel, die herunterkullern.
Der Baum vor meinem Haus sieht müde aus.
Ich bin sein Spiegelbild.
Nie ist klar, ob das Suchen oder das Finden das Wichtigere ist.
„Eins der wirksamsten Verführungsmittel des Bösen ist die Aufforderung zum Kampf.“ Kafka – wie immer mitten ins Herz.
Das Schweigen über die Infektionen dröhnt in meinem Kopf. Es muss jetzt endlich raus, wir sind bei mehr als 2.000 Neuinfektionen am Tag und die Testreagenzien gehen aus.
Nach einer Pandemie gibt es nur Besiegte, steht in „Die Welt im Fieber“ geschrieben. So ist es wohl. An diesen Gedanken muss ich mich noch gewöhnen.
Jutta packt die blanke Wut und ich verstehe sie gut:
In diesem Land ist Bildung immer sonntags in pastoralen Reden wichtig und montags scheißt ihr gemeinschaftlich drauf und lasst uns seit Jahren in verrotteten Gebäuden, schlechtester Akustik und üblem Raumklima immer mehr und mehr und mehr Aufgaben erledigen, deren sich der Rest der Gesellschaft, nämlich ihr, elegant entledigen will.
Vielleicht entledigt ihr euch ja nun auch eines Teils des „faulen“ Lehrpersonals. Mal schauen.