Journal14122019
Du debatierst noch, da macht sich der springende Punkt schon hurtig vom Acker.
Ich lese mich durch bis zur Geborgenheit.
Liebe, nicht vergessen.
Du debatierst noch, da macht sich der springende Punkt schon hurtig vom Acker.
Ich lese mich durch bis zur Geborgenheit.
Liebe, nicht vergessen.
Der Kalender ist schon so dünn, mir fällt es schwer, ihm die letzten Tage wegzuzupfen.
Das Jahr nimmt nochmals an Fahrt auf, aber ich mag nicht mehr beschleunigen. Es reicht. Jetzt ist die Zeit, um Angefangenes zu Ende zu bringen. Dann darf ich mich auch bald reset-ten. Einen Neustart wagen, wie jedes Jahr.
Die Marseille Träume haben wir in der Zwischenzeit beiseite gelegt. Es ist nicht die Zeit, Abenteuer zu wagen. Es sind ernste Zeiten. Kostbare. Heitere. Intensive.
Vergehende Zeit. Das ist mir sehr bewusst.
Heute morgen bis 7:30 Uhr hatte ich schon drei (!) Begegnungen mit Männern im öffentlichen Raum hinter mir, die mich in unterschiedlichen Situationen angepöbelt haben.
In keinem Fall war Alkohol im Spiel.
Bei der ersten Situationen um 6 Uhr pöbelte mich ein älterer Mann im Dunkeln an, der von hinten mit seinem Hund laut keuschend angejoggt kam. Ich trat auf dem Gehweg einen Schritt zur Seite um Platz zu machen und mich auch umzudrehen. Eigentlich nur, weil mir mein Gefühl schon sagte: Vorsicht! Da pöbelte er im Vorbeigehen.
Die zweite Situation war in der Schlange beim Bäcker im Hauptbahnhof, da pöbelte mich der junge Angestellte an. Auch da gab es keinen Grund nicht mal einen Anlass. Hab gegrüßt, meinen Wunsch geäußert, das Geld lag schon auf der Theke, mich bedankt. (Nicht dass es ein Grund zur Pöbelei gegeben hätte, wenn ich eins davon nicht sofort gemacht hätte.)
Und dann im Zug nochmal ein mittelalter Geschäftsreisender, der die Continuance verlor, nachdem klar war, dass der Zug technisch bedingt noch mal gecheckt werden würde.
In jeder dieser Situationen war ich total unauffällig, sowohl äußerlich, als auch vom Verhalten her. Und jetzt frage ich mich, ob dass das ist, was mich in Zukunft erwartet. Offensichtlich ist das Merkmal „ältere Frau“ eine Aufforderung an frustrierte Männer ihre Aggressionen abzuladen. Anders kann ich mir es nicht erklären.
Reagiert habe ich auf alle drei Vorfälle gleichermaßen: ich habe die Pöbler angeschaut und kein Wort dazu gesagt.
Ich war nicht bereit Ihre Ansprechpartnerin zu sein.
Schneller als gedacht hab ich mich dann doch wieder eingekriegt. Ich kann sie nicht ändern, die Welt. Und beruflich muss ich erst recht in den sauren Apfel beißen. Hab keine Wahl und da hilft nur die innere Verachtung.
Aber wie viel Kraft das doch kostet! Wie viel Energie mir das raubt! Da helfen keine Abschottungsstrategien. Es ist harte, kalte Währung in der ich meinen Preis dafür zahle.
Eine der größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte ist das Blasenpflaster.
Alle andere Assoziationen bleiben mir im Halse stecken.
Die Angst vor dem Fremden in mir. Christoph Schlingensief hat eine ganze Kirche daraus gemacht. Im besten Fall ist das Fremde aber das andere. (Ironie an, Ironie aus. Im Internet nie unterwegs ohne deinen Zwinkersmilie.)
Es scheint irgendwo immer ein Grüppchen Menschen in einer Ecke zu stehen, die ins Spielfeld des Lebens fremder Menschen hinein rufen, was sie zu tun und zu lassen haben. Möglichst laut, möglichst derb, möglichst im Brustton der Überzeugung, möglichst von oben aus einer privilegierten Position heraus.
Der Blick ins fremde Lebenswelten – unterhaltsam und immer auf der Suche nach mehr. Leserinnenkrankheit: Dieses Schweifen in fremden Gedanken. Faszinierende Neugierde mit Suchtgefahr.
Fremdeln – es scheint uns in die Wiege gelegt.
Wir sind die Guten, die anderen – die Fremden, die Feinde, die
Ungläubigen, die Reichen, der Pöbel oder wer auch immer – sind die
Bösen.
Jetzt ergibt sich aber das Problem, dass die Guten nicht immer gut sind.
Manchmal liegt das an der Tageszeit, manchmal am Wetter und manchmal an
der Verdauung. Mit einem Mal sind die Guten böse und die Bösen gut. Und
die Fremden sind immer noch fremd.
Verwandelt. Plötzlich ist Dir Dein Alltag fremd. Wenn Du Mutter wirst. Oder arbeitslos. Wenn Deine Freundin stirbt. Wenn Dein Körper streikt. Wenn Dein Liebster Dich verrät. Wenn Du in einem fremden Leben aufwachst.
Sie trägt ihr Interesse für das Fremde wie eine Auszeichnung vor sich her. Mich befremdet das.
Fremd ist mir auch alles, was ich nicht verstehen kann.
Fremde Männer – die größte, anzunehmende lauernde Gefahr. So wurde es mir beigebracht.
Fremdeinwirkung – fast immer gefährlich. Manchmal auch lebensgefährlich.
Die fremde Sprache verunsichert, verlangsamt das Denken, macht aus mir eine stumme Zuschauerin.
Fremdeinschätzung – und plötzlich ist das Gegenteil von fremd das Selbst.
Mein Beitrag zu den Mutmaßungen über das Fremde bei der Graugans
Was für ein rasantes Buch von Gertraud Klemm.
Es wird als feministische Roadstory angepriesen. Eine ältere feministische AktivistIn macht die vergessenen Care-Arbeiten und die Künstlerinnen sichtbar. Manchmal auch provokant riechbar.
Im Stil ist es ganz einfach, direkt und humorvoll geschrieben, zwischendurch voller kerniger Wahrheit.
Bei der Zeitreise durch 50 Jahre Feminismus bleibt kein Gefühl unbeschrieben. Der Optimismus in den jungen Jahren etwas bewirken zu können. Der Glaube an das eigene Talent. Wie dann aber so nach und nach mit jeder scheinbar individuellen Entscheidung sich das Schicksal seinen Anteil holt und dieser Anteil in so vielen Fällen ein weiblicher ist. Es folgen das Aufbäumen, das beharrlich Rütteln an den ungeschriebenen Gesetzen, die kräftezehrenden Care-Arbeiten, der Zorn und die Wut.
Getragen wird die Handlung aber durch die Freundschaft der beiden Frauen. Die eine tot, die andere trauert auf kreative Art. Sie will nicht hinnehmen, dass das Leben und das Werk der Freundin in der Unsichtbarkeit endet.
Mit Kraft und Power tritt sie ihren aktivistischen Roadtrip an unterstützt von einem männlichen Helferlein.
Es mag die Jahreszeit sein. Diese Stimmung am Morgen. Diese Atmosphäre.
Die Welt ist besonders präsent, das Unglück, die Konflikte, der Krieg, die Gewalt und die Sehnsucht nach einem unbeschwerten Leben. Die Freude an der Natur, das Erleben der Stille. Die Erinnerungen an freundschaftliche Zeiten, das Vertrauen in die Zukunft. Die Hoffnung.
Der Glaube an das Gute im Menschen.
müde geseufzt
Aktueller Plan:
Den Tag mit Küssen aufladen.
Mehr Bilder wünsche ich mir. Mehr Bilder in meinem Kopf. Schöne Bilder, alte Bilder, Vergangenheit, Alltag, Häuser, Straßen, Wege, Züge. Ruhige Bilder. Unspektakuläre Bilder. Schwarz-weiß und bunt durchgemischt.
Ich brauche mehr Bilder in meinem Kopf, gewebte und gestrickte, Collagen gerne auch. Ganz sanft, vielleicht sogar aus Samt.
Eine Bilder-Gegendarstellung im Herzen.
Von der schummrigen Sorten.
Auf keinen Fall laut.