Bildbeschreibung: graphische Darstellung des SARS-CoV-2 Virus von Johanna Thompson
Seltsam, dass angesichts der allgemeinen Krisensituation, die persönlichen Nadelstiche trotzdem so sehr schmerzen. Harmlose Ungerechtigkeiten in einer gefährlich ungerechten Welt.
Das Virus hat sich etwas aus der Berichterstattung zurückgezogen. Nichts ist wirklich gut, aber wir üben die Fasade.
Ich werde mir meine eigenen Kontaktregeln aufstellen. Die schwierigsten Rahmenbedingungen knirschen am Arbeitsplatz. Solange die Infektionsgefahr besteht, wird es die Spannung zwischen den vorsichtigen und den Präsenztieren geben.
Corona-Himmel. Wieder einmal. Ich will nicht an die Schwere denken. Nicht an die Paketstation in Hainsberg, die geschlossen wurde, weil so viele Mitarbeiter:innen infiziert sind. Das Virus spürt zuverlässig alle Schwächen im Arbeitsschutz auf.
Bildbeschreibung: Blick auf den Teich im Ostpark, gespiegelt
Ich ertappe mich dabei, wie ich meine eine kleine Reise plane. Eine Zusammenkunft der Herzen. Vielleicht reicht mein Virenglück bis dahin.
Mein neues Tablet ist der Hammer. Soll niemand sagen, dass es Glück nicht zu Kaufen gibt.
Es gibt noch so ein klitzekleines Problem außerhalb der tragischen Weltkonstellation, das mir sehr zu schaffen macht. Das klammert sich an mein Gemüt und nagt daran. Unnötig, aber nicht auszumerzen. Wie das Virus. Einmal infiziert und Pech gehabt.
Zahlen des Tages: 175.752 und 7.938, sowie ca. 15.000 aktive Fälle.
Heute hätte die Auszählung der Wahl stattfinden sollen, an der meine berufliche Zukunft für die nächsten vier Jahre hängt. Satz mit x, nannten wir das früher. War wohl nix. Aktuell ist nicht mal der nächste Wahltermin bekannt.
4,5 Mio Infektionen auf der Welt.
Und gegen die Grundrente holen sie die alten, verknitterten Argumente heraus. Teuer ist alles immer nur,wenn es für die Armen ausgegeben werden soll.
Zahlen des Tages: 175.233, 7.897, sowie ca. 15.000 aktive Fälle.
Die Richtung ist schon mal beruhigend. Vorübergehend.
Gehe ich im Morgengrauen durch die Stadt, dann begegnen mir auf sechs km Männer in orangenen Westen, mit Besen ausgestattet oder auf Maschinen sitzend, die den Abfall des vergangenen Tages verschwinden lassen. Das Geräusch des Fegens begleitet mich von der Haustür bis ins Büro. Zwischendurch das Zischen des Wasserstrahls oder das Rotieren der Kehr- und Putzmaschinen. Die Straßen sehen aus, als hätte ein großes Happening stattgefunden. Die Überreste eines überschwänglichen Festes könnten das sein.
Wer feiert dieses Fest? Was für eine Party findet hier statt?
Mir ist erst heute morgen klar geworden, dass das, was die Menschen morgens zusammen fegen, die Überreste der To-Go-Mahlzeiten sind.
Heute ging noch einmal stark durch die Presse, wie infektiös das Sprechen in Räumen sein kann. Keine große Überraschung, nachdem schon lange klar ist, wie schlimm das Singen ist.
Mein Gott, was bedeutet das für die Schule!
Zahlen des Tages: 174.478 und 7.884, sowie 17.000 aktive Fälle.
Seit ein paar Wochen scheint diese banale Erkenntnis nicht mehr zum Allgemeinwissen zu gehören.
Alle Menschen sind verwundbar und sterblich. Dass ganz junge Menschen, das vergessen, war schon immer so. Für eine kurze Zeit im Leben sind wir alle Superheldinnen und Welteroberinnen. Aber danach reicht es doch schon wieder zum Bodenkontakt.
Unverletzlich zu sein, kommt mir genauso attraktiv zu sein, wie das Leben in einer keimfreien Glaskugel.
Zahlen des Tages: 173.824 und 7.792 sowie ca 18.000 aktive Fälle.
Die Müdigkeit hat sich tief in mir eingelagert. Ich bestehe nur noch aus Müdigkeit. Im Morgengrauen laufe ich durch die Stadt, froh darum, nicht in diese schreckliche U-Bahn einsteigen zu müssen.
Die Tage sind angefüllt mit ungewohnten Handlungen, die Konzentration richtet sich auf bedeutende und unbedeutende Kleinigkeiten. Die Telefonkonferenzen saugen regelrecht die Energiereserven aus Leib und Seele. Das ist also dieser neue Alltag.
Monatelang lässt sich das nicht mehr durchhalten. Irgendwann werden die Kräfte erlahmen. Was wird dann sein?
Zahlen des Tages: 172.905 und 7693 Tote, sowie ca. 18.000 aktive Fälle
Es wird jeden Tag lächerlicher, hier das Wort Kontaktverbot zu schreiben.
Heute morgen stürmisches Wetter, die U-Bahn um 6 Uhr morgens gut gefüllt. Zu gut für mein Sicherheitsgefühl. An der Arbeit immer mehr ungute Diskussionen. Es gelingt mir nicht mich so verständlich zu machen, wie ich es gerne möchte. Jeden Tag fallen nun Entscheidungen an, die mich in große Verlegenheit bringen.
Mein Regenhut hält dem Sturm auf dem Rückweg nicht stand. Besser gesagt: er möchte sich gerne selbständig machen. Unter Schirm, Kapuze und Jacke kämpfe ich mich nach Hause. In Sicherheit. In virenfreie Sicherheit.
Ein bisschen Mut fehlt mir heute. Und Zuversicht.
Tief durchatmen. An etwas anderes denken. Morgen sieht die Welt schon wieder besser aus.
Es ist nicht möglich, ein Paket nach Kuba zu verschicken. Niemand weiß, für wie lange wie lange. Gerade jetzt, wo sie die Sachen so dringen brauchen.
Durch die Städte ziehen die Menschenmassen, es ist ein irrationales Gefühl sie zu sehen. Einerseits das Kontaktverbot, andererseits diese Riesen-Maschinerie, die nicht zur Ruhe kommen will.
Seltsame Gestalten kommen jetzt aus ihren Löchern. Online wie offline. Sie halten es für ihr gutes Recht, ihre Mitmenschen zu dominieren. Über sie zu bestimmen. Sie zu kontrollieren. Kein Argument ist zu schade, um den eigenen Kopf durchzusetzen. Traurig ist das.
Zahlen des Tages: 171,021 und 7.525, ca. 21000 aktive Fälle.
Hab jetzt ein Tablet mit Stift und komme mir vor, wie eine Fee mit Zauberstab. Cooles Teil.
Hab jemandem eine Freude gemacht und freue mich am meisten selbst darüber, weil es so rundherum gelungen ist.
Ansonsten hat die Welt nicht viel Verstand zu bieten. Der ist etwas abhanden bekommen. Aber ich will nicht klagen. Der Blick nach links und rechts lässt noch mehr Klugheit vermissen.
Zahlen des Tages: 169.901 und 7.404, sowie 21.000 aktive Fälle.