Journal08042020
Tag sechzehn Kontaktverbot.
Ostern kann kommen. Ich bleibe zuhause. Keine Frage. Es ist zu früh, um etwas anderes zu wollen.

Zahlen des Tages: 110.698 und 2192, sowie 36.081 und 72.485.
Tag sechzehn Kontaktverbot.
Ostern kann kommen. Ich bleibe zuhause. Keine Frage. Es ist zu früh, um etwas anderes zu wollen.
Zahlen des Tages: 110.698 und 2192, sowie 36.081 und 72.485.
Tag fünfzehn Kontaktverbot
Alle scharen mit den Hufen, wollen raus, raus, raus. Die Zahlen sind tückisch.
Hoffnung ist ein kostbares Gut. Ich freue mich auf die Feiertage, dann kann ich mich endlich einigeln und muss nicht mehr funktionieren. Muss nicht mehr die Fahne oben halten. Kann Ausatmen und mich in mein Schneckenhaus verkriechen.
Das wird notwendig sein. Die Arbeit vergiftet die letzten Winkel in den Stuben, dringt überall ein. Eine Infektion der anderen Art.
Zahlen des Tages: 106.739 und 1942, sowie 36.081 und noch 68.716 aktive Fälle. Ein hohes Niveau.
Tag vierzehn Kontaktverbot
Der gebannte Blick auf die Zahlen lässt nicht nach. Manchmal für ein paar Minuten Entspannung, aber dann zieht die dunkle Wolke wieder her.
Hab jetzt auch ein Virus. Auf Papier. Eine gefährliche Schönheit.
Zahlen des Tages: 101.558 und 1.662, sowie 28.700 Genesene aber noch 71.196 aktive Fälle.
Viel zu viele.
Tag dreizehn Kontaktverbot
Sonntag. SonnenSonntag. Frühling. Wir gehen früh nach draußen, wir ahnen, dass wir später keine Chance mehr haben abstandshaltend durch die Straßen oder den Park zu laufen. Wir brauchen ebenerdige Wege, Steigungen sind ungeeignet und verursachen Schwierigkeiten, es bleiben also nur einige wenige Strecken für uns übrig.
Ich träume von einem Schaukelstuhl für den Balkon. In Kuba habe ich die Schaukelstühle geliebt. Aber der Balkon ist so klein. Bzw. er ist schon so vollgestellt.
Ich träume weiter vom Schaukelstuhl.
Zahlen des Tages: 97.074 und 1.478, 26.400 sind Genesene aber noch fast 70.000 aktive Fälle.
Zu viele. Es sind einfach noch zu viele und nun stellt sich heraus, dass sie doch nicht so viel Intensivbetten haben, wie sie dachten.
Tief durchatmen und an etwas anderes denken.
Tag zwölf Kontaktverbot
Twitter regt sich über ein Pimmelgedicht auf und ich sorge mich über die Welt und die Menschen.
(Über das Pimmelgedicht muss ich schmunzeln. Hab es extra gegoogelt und dann auch gleich kapiert, dass es dieser Rammstein-Mensch ist, vom dem die Rede ist. Das läuft außerhalb meiner Komfortzone, findet aber innerhalb meiner Sozialisierung statt. Scheint so als wohnt im Inneren meines Mimosenseelchen eine Kravallschachtel, die auch gerne ihren Mittelfinger zeigt.
Die meint jedenfalls: gut gemacht, ins Herz getroffen und selbstverständlich seid ihr ja alle so hold und unschuldig.
Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass da jemand aus der bildungsbürgerlichen Mittelschicht, direkt ins Herz seiner Mittelschichtskumpan*innen trifft.
Gut gebrüllt, Löwe.
Vielleicht bleibt uns noch Zeit, die Wunden zu lecken und die Mittelfinger auszutauschen. Falls nicht, passt es gut zu unserem Untergang.)
Frühling ist draußen und mit dem warmen Wetter kommt das Problem, dass die Straßen, der Hang und der Park voll sind. Wir kommen nicht weg von hier. Müssen uns einordnen in die Lücken, die uns die anderen lassen. Zum Schluss drehen wir auf dem LKW-Parkplatz unsere Runde. Hauptsache raus.
Hauptsache sie lassen uns noch raus.
Was ist eigentlich mit den Zahlen aus Frankreich so plötzlich passiert?
Zahlen des Tages:
92.150 und 1335, sowie 26.400 Genesene und 64.420 aktive Fälle.
Tag elf Kontaktverbot.
So müde. So schlapp. So allergiegeplagt. So viele Gedanken.
Bald werde ich mir auch ein Tuch um meinen Kopf wickeln müssen, damit er nicht platzt.
Gestern bei zwei Grad minus morgens losgelaufen und Mittags in der Frühlingssonne wieder zurück. Wenn ich die Winterjacke ausziehe und mitschleppe, behindert das meinen Hindernis-Slalom durch die durchlässig bevölkerten Straßen. Deshalb zog ich gestern Pullover und T-Shirt aus – die passen in den Rucksack – und zog die Jacke über die Unterwäsche.
Ich laufe Seitenstraße und versuche meinen Weg zu finden. Das dauert und dauert.
Ich mag nicht klagen.
mit bloßen Händen
die Stimmung abschöpfen
um mein Gesicht
mit Atmosphäre zu benetzen
Das Gedicht von mir ist zehn Jahre alt und klingt heute gefährlich.
Zahlen des Tages: 90.964 und 1.234, sowie 24.575 und 65.155 aktive Fälle.
Verschnupft. Erledigt.
Zahlen des Tages: 81.728 und 997 sowie 19.175 und 61. 556 aktive Fälle.
Tag zehn Kontaktverbot
Der Frühling entwickelt eine distanzierte Idylle und dringt dann doch durch alle Ritzen und Poren.
Mir ist es ein Rätsel, wie andere es schaffen, nur einmal in der Woche einkaufen zu gehen. Vielleicht sind sie organisierter, konzentrierter als ich. Immer wieder fehlt etwas, immer wieder fällt mir ein, was wir noch brauchen könnten. Überhaupt Konzentration ist das, was mir fehlt in diesen Tagen.
Was macht mir am meisten Angst an dieser Situation? Nicht, dass ich oder M an Corona erkranken könnte. Mir macht die große, große Einschränkung Angst, die die Umstände jetzt schon für viele Menschen bedeutet. Die Situation in den Heimen, Kliniken und Praxen ohne soziale Kontrolle und ohne emotionale Unterstützung. Die Situation von Behinderten Menschen aus den gleichen Gründen. Alle Situationen in denen Menschen Beistand brauchen, sind jetzt traumatisierend. Das macht mir Angst.
Es macht mir Angst, dass sich so eine Haltung durchsetzt als sei es in Ordnung Menschen unter dem Mäntelchen des Schutzes auszugrenzen. Schutzisolation für Risikogruppen nennen sie das. Was das bedeutet, las ich heute hier.
Mich freut es, dass mir Menschen Masken nähen und schenken. Weil meine Versuche mit blutigen Fingern endeten. Fast wie bei Schneewittchen, nur nicht so anmutig.
Noch eine Aufgabe, die wiedermal von den Frauen übernommen wurde. Care. Unbezahlt. Aber dieses Mal bemerkt.
Zahlen des Tages:76.544 und 858, sowie 18.700 und 56.986 aktive Fälle.
Tag neun Kontaktverbot
Könnt ihr euch noch erinnern, als es hieß: „Ich brauche kein Socialmedia, ich habe ja richtige Freunde.“ https://t.co/KtSbbdY8Xe
Selten so schlecht geschlafen. Etwas in mir will einfach nicht abschalten. So als könnten die Zahlen explodieren, wenn ich gerade nicht hinsehe.
Gestern vergessen zu notieren, wie bizarr es im Morgengrauen ist, auf Obdachlose zu treffen, die mit Mundschutz in den Mülleimern nach den Pfandflaschen wühlen. Nicht einer, nicht zwei. Es sind viele unterwegs. Ein Bild, das die Schäbigkeit dieses Wirtschaftssystem so treffend darstellt wie kein anderes.
Zahlen des Tages: 70.985 und 682. 15.824 genesene Personen sowie 54.479 aktive Fälle.
Tag acht Kontaktverbot
Die Schutzmasken werden in den nächsten Wochen immer wichtiger und akzeptierter werden. Ich kann leider nur mit der Hand nähen, da ist es echt schwer, aber alle Menschen, die eine Nähmaschine haben, tun jetzt gut daran, welche zu nähen. Sie werden gebraucht werden.
In meinem Umfeld spreche ich mit möglichst vielen Menschen darüber. Dass die Atemmasken von staatlicher Seite für den persönlichen Gebrauch zuerst als nicht nützlich eingeordnet wurden, lag einfach daran, dass nicht genügend da waren. Nicht mal für die Kliniken und die Heime.
Manchmal ist es eben so, dass politische Aussagen auch richtig sind, wenn sie nicht wahr sind. Politisch ist es richtig, zuerst dafür zu sorgen, dass die medizinischen Schutzmasken in den klinischen und pflegerischen Bereich gehen.
Wenn die Masken aber zusammen mit den anderen Optionen dafür sorgen, dass wir die Steigerungsrate der Infektionen drücken können. Dann sollten wir sie tragen. Näht wenn ihr könnt! Wir werden Masken brauchen.
Zahlen des Tages: 63929 und 560, sowie ca. 9000 Genesene und 54.000 aktive Fälle.