Ich werde die sein, die euch das Fussspray weghamstert. Und das Blasenpflaster.
Jede Erwähnung der Hamsterei führt zu neuem Hamsterverhalten. Wir sind da in einer Schleife gefangen. Haha, das Hamsterrad führt uns dieses Mal direkt ins Unvorhersehbare.
Menschen möchten sich ihren Alltag erhalten, das ist gut nachvollziehbar.
Geht mir in Teilen genauso.
Es sind diese wunderbaren ersten Frühlingstage, die dieses Mal so überschattet werden.
Seit zwei Tagen schlafe ich mit Igor Levit ein. Ich lege ihn mir neben das Kopfkissen und lasse die Musik wirken. Ich, die Musik-Analphabetin, lausche und träume mich in die Welt der anderen Seite der Nacht.
Es ist gerade ziemlich gruselig in die Abgründe der Twitter-Seelen zu sehen.
Ich lasse mir von der Sonne die gute Laune herbeikitzeln. Sortiere meine Lebensmittel nach Haltbarkeitsdatum und sehe zu, dass ich dem dienstlichen Krisenmodus gewachsen bin.
Morgen kann ich wieder in die Arbeit gehen, der Bann wurde aufgehoben. Entwarnung. Das Wort ist gerade so leer.
Apropo Arbeit und Laufen, meine Füsse wollen nicht so recht. Sie sind schon immer recht anspruchsvoll, Schuhe sind irgendwie nicht für meine Füsse gemacht. Ich tröste sie mit Salben und Cremes. Die Reihe der Schuhe im Flur wird immer länger. Eingeteilt stehen sie da, kategorisiert nach der Anzahl der Schritte, die sie ertragen und wann sie zum letzten Mal getragen wurden.
Wenn die Kirchen schließen, dann ist das Leben tot, sagt eine Frau vor der Bäckerei. Noch ist es nicht tot, denke ich bei mir. Es lebt sich nur anders.
Der Spielplatz vor dem Haus ist abgesperrt und die Kinder verstehen die Welt nicht.
Beim DM sitzen die Kassiererinnen hinter Plastikfolie, den ersten Schutz in dieser Hinsicht den ich sehe.
Immer noch schaltet mein Krisenmodus ständig um zwischen „ich hab an alles gedacht“ und „um Himmelswillen ich bin nicht vorbereitet“. Nun hat mein Gemüt noch einen anderen Schalter entdeckt, mit dem es sich gut spielen lässt. Damit lässt sich die Dringlichkeit des dienstlichen Krisenmodus ganz rasch von 0 auf 10 stellen und wieder zurück.
Ich bin nervös und betrachte mein Umfeld genau. Beim Einkauf halten alle plötzlich mehr Abstand ein. Manche rechnen in der nächsten Woche mit der Ausgangssperre, das Personal des Supermärkte weiß nicht, ob sie geöffnet bleiben. Wir sind so klein, sagen sie. Ich wundere mich über diesen Zusammenhang und nehme Ihre Angst zur Kenntnis.
Die Apotheke ist – abstandsbedingt – überfüllt. Alle haben ernste Probleme und werden ruhig beraten. Ein ihnen bekannter, sichtlich aufgeregter Kunde wird beiseite und bevorzugt drangenommen. Er erhält ein Desinfektionsmittel und ist verblüfft, als ihm die Apothekeangestellte nicht nur Einmalhandschuhe anbietet, sondern auch noch Auswahl bei der Größe anbietet. Ich decke mich mit Allergiemittel ein. Wenn ich in dieser Pollenfalle in den nächsten Wochen aushalten muss, dann brauche ich wenigstens entsprechendes Dope dazu.
Ich drücke dem Paketboten die Tür auf und er klingelt wie verrückt weiter. Beschämt gewinne ich den Wettkampf und er ruft mir über die Treppe zu: Wir dürfen die Pakete nur noch unten abgeben. Ich drücke ihm das Trinkgeld in die Hand und entschuldige mich.
Meine Nervosität steigert sich dienstlich bedingt und endet damit, dass ich im Supermarkt ein Glas Kirschen runterwerfe. Volltreffer. Hab es nicht gesehen und über die Kante geschubst.
Den Geist niederlegen, bis der Schmerz ein Lebenszeichen gibt.
Meine Seele seufzt sich die Lage zurecht.
Zahlen des Tages: 8000 und 20 dabei ist es erst 17 Uhr
Der ungewöhnlichsten Montag meines Arbeitsleben. Seit Freitag hat die Corona-Krise so dermaßen an Fahrt aufgenommen, dass einem schwindlig werden konnte.
Da stehen wir also, wir armen Tröpfe und die Realität pustet uns unsere Wichtigkeit vom hohen Roß.
Eilverfügungen, verbindliche Erlässe. Notbetrieb. Alles wird runtergefahren und ausgesetzt. Von vielen Kolleginnen und Kollegen verabschiede ich mich bis in vier Wochen. Frühestens. Sie packen ihre Sticks und gehen in die Heimarbeit.
Ich erhalte eine Mail, darauf steht ich sei jetzt eine Kontaktperson. Nur eine mittelbare, aber für zwei Tage bin ich auch verbannt. So schnell kann es gehen.
Als ich das Gebäude verlasse, ist es abgesperrt und mit Hinweisen versehen. Die Zeiten sind zu kompliziert, als dass sich jemand traut einfach „geschlossen“ dranzuschreiben.
Auf dem Heimweg komme ich ins schwitzen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zuviel Gepäck und eine dicke Jacke, die mich in der Mittagssonne fast erstickt. Die Lektion habe ich schnell gelernt, wenn ich mich wieder auf den Fußweg mache, darf ich nicht zu viel mit mir herum schleppen. Jedes Gramm zählt. Wie beim Bergsteigen.
Dass an den Bussen vorne Hinweise kleben, sah ich gestern schon. Heute sehe ich, dass sie den vorderen Bereich mit Absperrband verklebt haben.
Den ganzen Nachmittag und am Abend kommen noch dienstliche Mails rein. Nur eine beunruhigt mich, obwohl sie inhaltlich eher nebensächlich ist: Die Personalratswahlen werden wahrscheinlich verschoben. Bis zu einem Jahr sind im Gespräch. Mir wird mulmig, als ich das lese.
Morgens dieser erstaunte Moment, als ich las, dass die Pharmafirma, die Trump aufkaufen wollte dem Fußball-Hopp gehört. Der, der sich sein gutes Gewissen erkaufen möchte. Wenn er durchhält, hat er einen Coup gelandet.
Ansonsten beruhigt es mich, wenn ich von möglichst vielen Menschen höre, wie es ihnen geht. Was ihnen ihr Alltag für Sorgen mit sich bringt und wie sie damit umgehen. Ich muss mehr wissen in diesen Tagen um mich zu beruhigen.
Es nimmt mich mit. Das Virus. Die Menschen und die Sorgen.
Ich bin so müde.
Mein Körper würde jetzt gerne in einen sechswöchigen Corona-Schlaf fallen.
Zahlen des Tages: Es gibt so viele verschiedene, ich nehme heute mal die der Johns Hopkins University. 7174 und 13
Aufschreiben, was passiert. Die Geschehnisse verarbeiten. Abgleichen mit dem, was andere erfahren.
Ich lese von Entschleunigung. Das würde ich mir wünschen. Als introvertierte Person sowieso. Aber ich erlebe keine Entschleunigung, ich erlebe Krisenmodus. Ständig sind Entscheidungen zu treffen, aber wie sollen sie getroffen werden, wenn die Rahmenbedingungen unbekannt sind.
Manchmal träume ich davon, dass die Menschheit aus dieser Situation etwas lernt. Solidarität zum Beispiel. Aber dann heißt es in den Nachrichten, dass Trump sich exklusiven Zugang zu einem Medikament verschaffen möchte. Wo das Geld ist sitzt die Macht. Auch und gerade in der Krise.
Am Mittag meldet die Deutsche Bahn, dass sie den Regionalverkehr auf einen Krisenfahrplan umstellt. Das Netz zieht sich langsam zu.
Ruhe bewahren. Ich verstehe nicht warum alle ständig das P-Wort verwenden. Weiß doch mittlerweile jede, dass sich im Gehirn die Negation nicht einprägt. Der rosa Elephant steht dadurch laut trompetend im Raum.
Ruhe bewahren und aufmerksam sein.
Hab heute etwas von einem Pandemie-Plan gelesen, den jeder Haushalt für sich aufstellen sollte. Darin ist von einem Tandem-System die Rede. Eine Verbindung zu einem ähnlich strukturierten Haushalt. Wie bei einem Backup, damit man sich gegenseitig helfen könnte. Mir fällt niemand ein, der unser Tandem-Haushalt sein könnte.
Ausnahmetag. So wie jetzt viele Tage zum Ausnahmetag werden.
Immer schwanke ich zwischen dem Gefühl, des Ausgeliefertseins und dem Gefühl, alles getan zu haben, was eine verantwortungsbewusste Person eben so tun sollte. In dieser Situation.
Immer wieder komme ich an den Punkt, an dem ich innerlich zur Ruhe komme, aber plötzlich schrecke ich wieder auf, mir scheint, dass ich etwas vergessen habe.
Heute ein Gespräch geführt, das mich sehr nachdenklich gemacht hat. Weißt du, sagt er zu mir, sie kommen am Montag und testen. Falls dann ein Coronafall dabei ist, wird die Einrichtung zugemacht und nicht jeder weiß dann wohin.
Nicht jeder Mensch hat ein Zuhause. Nicht jedes Zuhause ist ein geschützter Ort. In Krisenzeiten kommen die Ungerechtigkeiten noch mehr zum Tragen.
Am Vormittag dann zum ersten Mal tatsächlich auf Hamsterer im Reallife getroffen:
Heute vormittag in der Stadtbücherei in der Kinderbuchabteilung. Hohe Stapel Bücher und Medien trugen die Kleinen und ihre Eltern davon. Hab mein Vorhaben noch etwas auszuleihen aufgegeben, weil die Schlange so gigantisch war.
Die Bücherei ist heute das letzte Mal geöffnet.
Das Bundesgesundheitsministerium verkündet:
❗️Achtung Fake News ❗️ Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit / die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT! Bitte helfen Sie mit, ihre Verbreitung zu stoppen.
In der Zwischenzeit schließen öffentliche Einrichtungen bzw. werden geschlossen. Spanien, Frankreich machen fast alles dicht. Nur arbeiten, essen kaufen und zum Arzt gehen ist noch drin. Mir wäre recht, wenn dieses arbeiten noch rausfallen würde. Aber das ist wohl das Steinchen, das die Pyramide zusammenhält.
Manchmal schaue ich auf und sehe, wie es um mich herum grünt, blüht und gedeiht. Dann denke ich kurz: Ach ja, Frühling wird es auch.
Zahlen des Tages: 4200 und 8
Geschätzt, denn das Robert-Koch-Institut hängt zwei Tage mit den Zahlen für Deutschland hinterher und in den Nachrichten nennen sie die Zahlen der anderen Länder, nur nicht die aus Deutschland. Ein Schelm, wer sich dabei was Böses denkt.
Hab mich zu Fuß auf den Weg ins Büro gemacht und 70 min für 5,5 km einfach gebraucht. Obwohl ich Glück mit den Ampeln hatte. Zurück bin ich ohne Zeitnahme gelaufen. Eingehandelt habe ich mir eine Blase am Zeh. Erspart die möglichen Viren in der U-Bahn.
Sorgen mache ich mir um die, die nicht ins Homeoffice können. Um die die vorne stehen. Seit Jahrzehnten. Immer und immer wieder.
Keine Ahnung, was am Montag sein wird.
Besser nicht die Phantasie einschalten.
Bildbeschreibung: Mein verschwommenes Spiegelbild im Glas des Bild mit dem Titel „Errechnetes Glück“, im Hintergrund spiegeln sich zwei Grafiken, die über meinem Bett hängen und in der Mitte die Lampe mit handgesponnener Wolle gestrickt.
Den #12von12 vergessen. Keine Fotos von diesem Tag. So langsam läuft sich der Krisenmodus warm. Wäre wirklich schön, wenn mehr Menschen verstehen würden, dass Vorsicht ein guter Ratgeber sein kann und nicht unbedingt mit dem Burschen Panik verbrüdert ist.
Trauer liegt hier in der Luft. Wie eine Glocke überzieht sie den Raum zum Atmen.
Ich muss langsam lernen ohne die U-Bahn auszukommen. Da das Fahrrad für mich ausfällt bleibt mir nur zu Fuß zu gehen. Uff. So weit.
Zahlen des Tages: 2369 und 5
Ab nächster Woche zählen sie anders. Selbst die Zahlen geraten ins Wanken.
Über dem Hang leuchten die Lichter. Eins davon gehört zu dem Trauerhaus in dem die Töchter um ihre Mutter weinen.
Es ist ein trauriger Tag. In so vieler Hinsicht. Auch aus der anderen Himmelsrichtungen kommen Hiobsbotschaften an, die das Herz schwermachen.
Tränen für den Augenblick und die Vergangenheit.
Dazwischen die Kopfschüttel-Entscheidungsträgerinnen. Eine geballte Ladung an Inkompetenz und Menschen in strategischen Verantwortungspositionen, die nicht an das Virus glauben.
Die traurigste Twitter- Timeline ever. Vielleicht fühlt sich so the End of the f***ing World für die Ü60er an.
Der Covid-19-Virus holt das Schlechteste in der Menschheit hervor. Kackbraune Mäntelchen wehen im Wind. Angeklammert an Stangen mit der Inschrift „Inkompetenz“.
Und ich kann euch sagen: sie wehen so gut. Den Geruch überriechen wir mal lieber.
Wir tanzen nie auf dem Vulkan.
Wir bauen eine verbotene Stadt. Mit ganz besonderen Regeln. Dem Himmel nah.